Einkommensteuer | Vorlage an das BVerfG zur Neuregelung der Tonnagesteuer (FG)

Das FG Hamburg hat die Entscheidungsgründe des Beschlusses v. 24.11.2022 - 6 K 68/21 zur Verfassungswidrigkeit der Rückwirkung von Neuregelungen zum Unterschiedsbetrag bei der Tonnagesteuer veröffentlicht.

Hintergrund: Mit Beschluss v. 24.11.2022 - 6 K 68/21 hat das FG Hamburg das BVerfG zu der Frage angerufen, ob § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG in der Fassung des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (AbzStEntModG) v. 2.6.2021 (BGBl. I. 2021, 1259) insoweit verfassungswidrig ist, als darin die rückwirkende Anwendung des § 5a Abs. 4 Sätze 5 bis 7 EStG in der Fassung des AbzStEntModG für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.1998 beginnen, angeordnet wird (siehe hierzu unsere Online-Nachricht v. 5.12.2022). Inzwischen liegt die Begründung der Entscheidung vor.

Sachverhalt: Die Klägerin erhielt im Jahr 2005 einen Anteil an einer Schiffskommanditgesellschaft von ihrem Vater geschenkt. Diese Gesellschaft war Anfang 1999 zur Gewinnermittlung nach der Tonnage (§ 5a EStG) gewechselt, so dass für das Schiff ein sog. Unterschiedsbetrag (Differenz zwischen Buch- und Teilwert) gemäß § 5a Abs. 4 Satz 1 EStG festgestellt worden war. Dieser Betrag war durch einen Feststellungsbescheid des Finanzamtes dem Vater als damaligen Kommanditisten anteilig zugewiesen worden.

Im Streitjahr 2012 fand ein Rückwechsel der Schiffsgesellschaft zur normalen Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG) statt und in 2013 übertrug die Klägerin ihre Anteile auf eine andere Gesellschaft. Deshalb soll der Unterschiedsbetrag nach Auffassung des Finanzamtes in diesen Jahren gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1, 3 EStGgewinnerhöhend für die Klägerin aufgelöst werden. Es ist der Ansicht, dass der Unterschiedsbetrag im Jahre 2005 im Wege der Schenkung auf die Klägerin übergegangen sei und daher seinerzeit nicht aufzulösen gewesen sei. Dazu beruft es sich auf eine rückwirkende Anwendung von § 5a Abs. 3 Sätze 5 und 6 EStG durch § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG in der Fassung des AbzStEntModG.

Die Klägerin ist dagegen der Ansicht, dass diese Rückwirkung verfassungswidrig sei und das FA daher den Unterschiedsbetrag bereits im Jahre 2005 infolge der Schenkung bei ihrem Vater hätte auflösen müssen.

Das FG Hamburg ist davon überzeugt, dass § 52 Abs. 10 Satz 4 EStG verfassungswidrig ist, weil diese Regelung eine unzulässige echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) von § 5a Abs. 4 Sätze 5, 6 und 7 EStG zu Lasten der Steuerpflichtigen bewirkt und keine Rechtfertigung für die rückwirkende Anwendung vorliegt:

  • Es handelt sich um eine echte Rückwirkung, denn die gesetzliche Regelung ist konstitutiv.
     
  • Der BFH hat ab 2019 in ständiger Rechtsprechung entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung entschieden, dass der Besteuerungstatbestand des Ausscheidens eines Mitunternehmers aus einer Schiffsgesellschaft (§ 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 EStG) weit zu verstehen ist und auch unentgeltliche Übertragungen im Wege der Schenkung oder eines Erbfalls umfasst (BFH, Urteil v. 28.11.2019 – IV R 28/19, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 13.02.2020).
     
  • Diese Rechtslage hat der Gesetzgeber rückwirkend zu Lasten der Klägerin geändert.
     
  • Damit ordnet das vorlegende Gericht die Rückwirkung anders ein als das FG Schleswig-Holstein in drei Entscheidungen v. 27.4.2022 - 5 K 46/21, EFG 2022, 1438; 5 K 47/21, 5 K 48/21, Revisionen anhängig unter IV R 12, 13, 14/22). Dieses geht, ebenso wie das FA, lediglich von einer unechten Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) aus und verneint die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift.
     
  • Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts liegt keine der vom BVerfG anerkannten Fallgruppen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der (echten) Rückwirkung vor. Die ursprüngliche Gesetzeslage ist weder unklar noch verworren gewesen.
     
  • Es liegen auch keine überragenden Belange des Gemeinwohls oder sonstige Gründe für eine Rechtfertigung der echten Rückwirkung vor.
     
  • Es kommt vorliegend nicht auf das Vertrauen der Klägerin in eine konkrete Rechtslage an, sondern vornehmlich auf die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte.
     
  • Es ist Aufgabe der Gerichte, das Recht auszulegen. Vom Vertrauensschutz ist es grundsätzlich auch umfasst, in den Genuss einer günstigeren Rechtsposition aufgrund einer höchstrichterlichen Auslegung einer Rechtsnorm zu kommen, wenn dies verfahrensrechtlich möglich ist.

Hinweis:
Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank Hamburg veröffentlicht.


Quelle: FG Hamburg, Pressemitteilung v. 3.3.2023 (il)


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