Erbschaftsteuer | Einkommensteuerschuld als Nachlassverbindlichkeit (BFH)

Ändern sich die Verhältnisse nachträglich in der Weise, dass entgegen der Erwartung zum Todeszeitpunkt mit einer Geltendmachung der Steuerforderung zu rechnen ist, ist dies ein Ereignis mit materiell-rechtlicher Rückwirkung, das die Änderung des Erbschaftsteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ermöglicht (BFH, Urteil v. 11.7.2019 - II R 36/16; veröffentlicht am 5.12.2019).

Sachverhalt: Der Erblasser war an einer Gesellschaft beteiligt, zu deren Gunsten das FA zunächst einen steuerfreien Sanierungsgewinn annahm. Erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung des Erbschaftsteuerbescheides wurde die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns verneint und der daraus resultierende Einkommensteuerbescheid geändert. Die wirtschaftliche Belastung der Erben trat somit erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Erbschaftsteuer ein. Das FA berücksichtigte den Betrag, der die Nachlassverbindlichkeiten erhöhte, nicht. Das FG der ersten Instanz ließ eine Berichtigung nach § 6 Abs. 2 BewG i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG zu (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 22.12.2016, NWB DokID: MAAAH-36932).

Auf die Revision des FA hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück:

  • Zu den Nachlassverbindlichkeiten gehören diejenigen Steuerschulden, die im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits rechtlich entstanden waren (BFH, Urteil v. 14.11.2018 - II R 34/15, Rz. 16).
  • Ebenfalls zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG gehören die Steuerverbindlichkeiten, die der Erblasser als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat und die mit dem Ablauf des Todesjahres entstehen (u.a. BFH, Urteil v. 4.7.2012 - II R 15/11, BStBl II 2012, 790, Rz 13, 14, 15, 21). Die Festsetzung der Steuer ist nicht Voraussetzung ihrer Entstehung.
  • Steuerschulden können allerdings nur dann abgezogen werden, wenn sie im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben.
  • Hieran fehlt es, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse im Todeszeitpunkt nicht damit gerechnet werden kann, dass der Steuergläubiger seine Forderung geltend machen werde.
  • Ändern sich die Verhältnisse jedoch nachträglich in der Weise, dass entgegen der Erwartung zum Todeszeitpunkt mit einer Geltendmachung der Steuerforderung zu rechnen ist, ist dies ein Ereignis mit materiell-rechtlicher Rückwirkung, das die Änderung des Erbschaftsteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ermöglicht.

Hinweis:

Das FG wird im 2. Rechtsgang u.a. feststellen müssen, mit welcher Einkommensteuerfestsetzung zum Todeszeitpunkt zu rechnen war und ob und ggf. wann sich insoweit später die Verhältnisse geändert haben könnten. Den Bescheiden im Streitfall war lediglich zu entnehmen, dass später ein höherer laufender Gewinn zu berücksichtigen war und die Begünstigung eines Sanierungsgewinns nicht (mehr) stattfand. Zu den Hintergründen, namentlich zu der Frage, ob zum Todeszeitpunkt mit der Nichtbegünstigung eines Sanierungsgewinns zu rechnen war, war nichts festgestellt worden.

Hauptbezug: BFH, Urteil v. 11.7.2019 - II R 36/16, NWB DokID: RAAAH-36884 (il)

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